Prof. Volker Wieland ist Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) an der Goethe-Universität Frankfurt. Wieland hat an der US-Eliteuni Stanford promoviert und arbeitete danach für die US-Notenbank. Zwischen März 2013 und April 2022 gehörte der Experte für Geldtheorie und Geldpolitik dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Ein Interview mit ihm über Subventionen, Fördermittel und wirtschaftliche Weichenstellungen.
Optimale Rahmenbedingungen statt detailverliebter Eingriffe
Herr Prof. Wieland, die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gibt Anlass zur Sorge.
Wenn Sie heute noch dem Sachverständigenrat für gesamtwirtschaftliche Entwicklung angehören würden: Was würden Sie raten, was muss sofort getan werden?
Ja, die Sorge ist gerechtfertigt. Die deutsche Wirtschaftsleistung stagniert auf dem Niveau von 2019, die Industrie schrumpft und der Dienstleistungssektor entwickelt sich auch nicht gerade dynamisch. Es verwundert nicht, dass zunehmend Verteilungskämpfe entbrennen. Deutschland braucht eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Die Wachstumskräfte in der Wirtschaft müssen sich entfalten können. Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Innovation sind notwendig. Stattdessen winkt der Staat mit scheinbar großzügigen Subventionen, umfangreichen Transfers und detailverliebten Eingriffen in die Wirtschaft.
Wirtschaftsförderung, d.h. Bestandsentwicklung und Neuansiedlung, ist in Deutschland eine freiwillige Aufgabe der Kommunen und oft mit mageren Ressourcen und finanziellen Mitteln ausgestattet. Wieso steht die Unterstützung der Wirtschaft so wenig im Fokus? Sie ist doch die Basis und Voraussetzung für Ausgaben in Bildung, Kultur, Soziales etc.
Grundsätzlich ist Förderung, z.B. in Form von Subventionen, nicht per se Wachstumsmotor. Entscheidend ist eigenverantwortliches Wirtschaften und Unternehmertum, das unter Wettbewerbsbedingungen Bestand hat und es schafft, Gewinn aus Innovationen zu ziehen. Der Staat sollte sich mit seiner Förderung auf die Rahmenbedingungen konzentrieren und die so attraktiv gestalten, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts erhalten und gesteigert wird. Das gilt für Bund, Land und Kommunen.
Aber es stimmt: Gesellschaftspolitisch hat das Thema Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts oft nicht den Rang, der diesem Thema eingeräumt werden sollte. Wir scheinen noch zu glauben, wir könnten alles optimieren – Umweltschutz, Artenschutz, Klimaschutz, Nachbarschaftsschutz, soziale Sicherheit und so fort – und gleichzeitig problemlos den Wohlstand erhalten und noch ausbauen. Das ist nicht so. Wir müssen stattdessen akzeptieren, dass man nicht alles auf einmal haben kann und anfangen, pragmatisch Prioritäten setzen. Ohne Wirtschaftswachstum werden wir etwa den Klimaschutz auch nicht stemmen können.
Ohne Millionen an Fördermitteln von Bund und EU läuft wenig in der wirtschaftlichen Entwicklung von Standorten. An vielen Standorten enden Maßnahmen und werden nicht verstetigt, wenn Förderungen auslaufen. Ist staatliche Förderung überhaupt der richtige Weg zur Wirtschaftsentwicklung oder aus Ihrer Sicht ein Irrweg? Wenn Irrweg, was wäre stattdessen sinnvoll?
Der Staat kann entscheidende Weichenstellungen vornehmen. Aber es liegt nicht oder zumindest nicht nur am Geld. Vergangenes Jahr durfte ich als Ko-Vorsitzender des neuberufenen „Hessischen Zukunftsrats Wirtschaft“ mithelfen, zahlreiche konkrete Handlungsempfehlungen für die Bereiche Digitalisierung, Dekarbonisierung, Arbeit der Zukunft und Standort Hessen zu entwickeln. Bereits beim ersten Treffen der Beteiligten war die dringendste Forderung, Regulierung zu vereinfachen, Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und Bürokratie abzubauen. Wir sprachen von „Gullivers Fesseln“, die nicht nur gelockert, sondern durchschnitten werden sollen. Auch Bürokratieabbau und Digitalisierung erfordern gezielten Mittel- und Personaleinsatz. Aber sie erfordern insbesondere auch die Bereitschaft, Regulierungen abzubauen und zu vereinfachen, um Unternehmen zu erlauben, sich zu entfalten, zu investieren und neue Geschäftsmöglichkeiten zu explorieren.
Gibt es Ihrer Meinung nach sinnvolle Kriterien für den Fördermitteleinsatz und entsprechende Evaluierungen? Was würden Sie vorschlagen?
Man muss Standortpolitik breit denken. Die aktuell verfolgte Politik der Bundesregierung und einiger Landesregierungen, einigen wenigen Unternehmen mit Milliardensubventionen die Produktion am Standort attraktiv zu machen, führt in die Irre. Viel sinnvoller sind breiter angelegte Maßnahmen, wie sie etwa im Wachstumschancengesetz teils enthalten, aber mit vergleichsweise wenig Mitteln ausgestattet sind.
Auf der kommunalen Ebene sollten die finanziellen Mittel vor allem für die Verbesserung attraktiver Rahmenbedingungen eingesetzt werden, von denen möglichst viele Unternehmen vor Ort profitieren. Rahmenbedingungen heißt etwa Infrastruktur – also Anschlüsse an das Verkehrsnetz, an die Energieversorgung, an die Telekommunikationsnetze. Fördermaßnahmen zur Dekarbonisierung und Digitalisierung sollten möglichst technologieoffen gedacht werden. Bildung und Attraktivität für Arbeitskräfte ist ein weiterer entscheidender Punkt. Auch hier können kommunale Maßnahmen eine bedeutende Wirkung entfalten.
Wäre es sinnvoller, die Kommunen würden eigene Mittel erhalten und diese individuell einsetzen, anstatt auf Förderschienen zurückgreifen zu müssen?
Ich denke, die Mischung macht es. Es ist schon sinnvoll, sowohl auf EU-Ebene, auf Bundes- und Landesebene sowie auf Ebene der Kommunen Ansätze zu verfolgen, die tatsächlich helfen, die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu verbessern. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen EU-Mitgliedstaaten. Unser deutsches föderales System gibt den Kommunen viel mehr Spielraum als in manch anderen Mitgliedstaaten. Und die deutsche Schuldenbremse begrenzt die Möglichkeiten des Bundes und der Länder stärker als die der Kommunen, die sich weiter zur Finanzierung öffentlicher Investitionen verschulden dürfen.
Welchen Spielraum haben Kommunen mit knappen Haushalten oder unter Haushaltsaufsicht stehend, um sich wirtschaftlich stärker aufzustellen?
In der Tat ist die Finanzschwäche vieler Kommunen ein hemmender Faktor bei den öffentlichen Investitionen. Da sind in verschiedenen Ländern erfolgreiche Programme auf den Weg gebracht worden, die zur Entschuldung der Kommunen beitragen.
Das ist notwendig, um neue Möglichkeiten zu eröffnen. Eine reine Übernahme der Schulden und zusätzliche Transfers würden nur dazu führen, dass eine harte Prüfung von Maßnahmen ausfällt und Prioritätensetzung vermieden wird. Es ist wichtig, sich zuerst auf Maßnahmen zu konzentrieren, die dazu beitragen, dass der Kuchen wächst. Das ist nicht der Wettbewerb um das beste Spaßbad, das vermutlich viel zu teuer kommt.