Verwaltungskultur hemmt Digitalisierung

Dr. Christoph Egle, Geschäftsführer des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt)

Die schleppende Digitalisierung der Verwaltung liegt nicht am Geld, sondern an der deutschen Verwaltungkultur und dem Förderalismus. Das sagt Dr. Christoph Egle. Er ist seit Juni 2019 Geschäftsführer des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt). Er beschäftigt sich dort u. a. mit den Themen Digitalpolitik und Verwaltungsdigitalisierung. Zuvor war der Politikwissenschaftler in der Bayerischen Staatskanzlei und im Bayerischen Staatsministerium für Digitales für digitale Zukunftstechnologien zuständig.


Herr Dr. Egle, mit welchen Forschungen beschäftigt sich das bidt und wie geben Sie Erkenntnisse daraus in die Praxis weiter?

In unseren Forschungsprojekten geht es darum, den digitalen Wandel zu verstehen und die Digitalisierung gemeinwohlorientiert zu gestalten. Wir decken vielfältige Themen ab wie z. B. die Kommunikation in sozialen Medien, den digitalen Wandel von Unternehmen oder die Zusammenarbeit von Menschen mit künstlicher Intelligenz. Unsere Ergebnisse kommunizieren wir über digitale Kanäle, Publikationen und Veranstaltungen, die Raum für Interaktion geben und zum Dialog einladen. Viele unserer Projekte binden außerdem Praxispartner in die Forschung ein.


Sie haben zum Thema Digitalisierung in der Verwaltung publiziert. Was können Landräte, Bürgermeister, Wirtschaftsförderer hier für ihre Praxis erfahren?

Den Fehler zu vermeiden, die Digitalisierung der Verwaltung als eine rein technische Aufgabe zu behandeln. Es reicht nicht, ein Antragsformular 1:1 ins Internet zu stellen. Verwaltungsdigitalisierung ist ein sozialer Transformationsprozess, bei dem sich Routinen in Recht und Verwaltung ändern müssen. Es gibt keinen Schalter, den man einfach umlegen kann, stattdessen brauchen wir Veränderungen bei den Menschen.


Was sind die größten Hemmnisse der Verwaltungsdigitalisierung?
Das größte Hemmnis sehe ich in der deutschen Verwaltungskultur. Sie ist traditionell auf Absicherung und Fehlervermeidung konzentriert, nicht auf die Nutzung von Gestaltungsspielräumen. Ich vermute, dass wir hier einen Kulturwandel dringender benötigen als mehr Geld.
Auch der Föderalismus hemmt uns. Wir haben sehr komplexe Strukturen, unendlich viele Akteurinnen und Akteure und zu viele Einzellösungen. Die Digitalisierung spielt ihre Vorteile aber vor allem in der Skalierung aus, die im deutschen Föderalismus deutlich schwieriger zu erreichen ist als z. B. in kleinen Ländern.
Drittens wird Digitalisierung oft als ein Fachthema und nicht als eine Querschnittsaufgabe angesehen. Auch in vielen Kommunen ist das Thema oft an einen Digitalisierungsbeauftragten oder andere Stellen ausgelagert, die von der praktischen Umsetzung abgekoppelt sind. Digitalisierung muss als Querschnittsaufgabe aber an der Spitze verankert sein und von der gesamten Verwaltung verstanden und gelebt werden.
Schließlich haben v. a. viele Kommunen ein Problem, IT-Fachkräfte zu rekrutieren – vor allem solche, die an Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger arbeiten und nicht nur an technischen Prozessen.


Das klingt nicht gerade erfreulich. Kann man nicht von anderen Ländern lernen, die schon viel weiter sind als wir?
Natürlich können wir das, das oft genannte Beispiel Estland ist aber nur sehr eingeschränkt übertragbar. Zum einen hat Estland weniger Einwohnerinnen und Einwohner als München. Zum anderen konnte Estland Anfang der 1990er Jahre quasi bei Null neu anfangen, wir hingegen müssen unsere gewachsenen und komplexen Verwaltungs- und IT-Strukturen in Bund, Ländern und Gemeinden umbauen und aufeinander abstimmen.


Was ist Ihre Prognose für die Zukunft?
Ich schätze, dass uns die Digitalisierung der Verwaltung noch mindestens zehn Jahre beschäftigen wird. Positiv ist: Wir sind auf dem Weg, und ich sehe auch viele engagierte Mitarbeitende in der Verwaltung, die den Kulturwandel anschieben. Wichtig sind hier vor allem die Führungskräfte und dass diese das Thema Digitalisierung zur Chefsache machen, die Herausbildung eines digitalen Mindsets befördern – und vor allem eine positive Lernkultur.