Die Krux mit den Präsenzworkshops

Bringen Präsenzworkshops mit Stakeholdern ein neutrales Ergebnis? LennardtundBirner-Geschäftsführer Dr. Thomas Birner erklärt, warum das nicht der Fall ist und die beliebte Analysemethodik zur falschen Ausrichtung der Wirtschaftsförderung führen kann.

Beteiligungsprozesse sind Ihren Auftraggebern wichtig.

Ja. Sie werden auch von in vielen Förderprogrammen gefordert, allerdings ist die Art der Durchführung nicht vorgeschrieben. Die Ergebnisse vieler Analyseprozesse basieren jedoch meistens auf so genannten breiten Beteiligungsprozessen, mit denen Workshop- oder Diskussionsformate mit Unternehmer:innen, Bürger:innen und anderen Stakeholdern in Präsenz gemeint sind.



Wieso sagen Sie so genannt?

Weil es keine breite Beteiligung ist. Ich beschreibe einmal einen typischen Vorgang. Eine Stadt lädt die Bürger:innen zu einem Workshop zur Stadtentwicklung ein. Es melden sich 46 Bürger:innen an. Am Workshoptag erscheinen dann 27. Man diskutiert über die Stärken und Schwächen der Stadt, sammelt Meinungskarten ein und pinnt diese an die Wand. Die Beiträge sind in der Regel Themen, von denen die Anwesenden unmittelbar betroffen sind. Das muss aber nicht die Meinung der Bürger:innen oder Zielgruppe sein. Das haben wir immer wieder erlebt, wenn wir Ergebnisse solcher Workshops mit dem Meinungsbild einer breiteren Befragung (siehe unten) abgeglichen haben. Denn viele interessierte Bürger:innen sind nicht erschienen, weil sie die Stunden nicht investieren wollen oder schlicht zu dem Termin oder der Tageszeit keine Zeit hatten. Sie erwischen immer nur ein kleines, nicht repräsentatives Spektrum.



Das heißt, es gibt keine breite Meinungsbildung?

Genau. Im schlimmsten Fall besteht ein Workshop aus dem Auftraggeberteam, der oder dem Oberbürgermeiste:rin und einem halben Dutzend Akteur:innen. Deren Meinung ist dann Basis für die Entwicklungsstrategie der Stadt.



Angenommen die Veranstaltung ist gut besucht?

Auch dann ist ein ehrlicher und breiter Meinungsbildungsprozess nicht gewährleistet. In den Veranstaltungen gibt es Schüchterne, nur Zuhörende, Rädelsführer, solche die sich politisch positionieren, weil gerade Wahlkampf ist oder Eigeninteressen verfolgen. Beispiel: „Vor meinem Laden sind ganz wichtige Parkplätze für die Innenstadt. Ohne diese Parkplätze wird die Innenstadt veröden und der an dieser Stelle vorgesehene Baum passt woanders viel besser hin.“ Dazu kommen Uninformierte, die sich leicht beeindrucken lassen und dann „mitstimmen“, wenn es z.B. ans Punktekleben geht. Einer klebt zuerst und die anderen orientieren sich oft daran. Das sind ganz normale gruppendynamische Prozesse. Ich habe auch schon erlebt, dass Kärtchen wieder abgenommen wurden, weil sie eine Person als nicht relevant oder gar für schädlich hielt (z.B. Gewerbeflächen brauchen wir nicht mehr…). Beteiligte nehmen oft auch Rücksicht auf Akteure. Die Themen kommen dann nur verklausuliert auf den Tisch und werden nicht direkt angesprochen. Gesagt wird dann nur: „Wir brauchen mehr Wirtschaftsförderung“ anstatt: „Wir brauchen eine andere Wirtschaftsförderung“. Es passiert dann entweder gar nichts oder die Einheit wird einfach vergrößert ohne dass analysiert wurde, wo die Probleme wirklich liegen. Das Ergebnis für den Standort wird nicht besser, nur der Aufwand steigt. Sehr oft habe ich schon erlebt, dass ein Meinungsführer ein Thema treibt zu Qualitäten, die der Standort hat, diese aber nur eine Einzelmeinung sind und nicht einmal die Anwesenden dahinterstehen. Sowas offenbart  sich dann in der Kaffeepause. Aber aus verschiedenen Gründen wurde nicht öffentlich gegen diese Einzelmeinung argumentiert.



Ist es nicht Aufgabe der Moderation, „Rädelsführer“ im Griff zu haben?

Das entspricht oft nicht der Moderatorenrolle. Die oder der Moderator:in ist zunächst neutraler „Sammler“ von Themen. Es braucht sehr viel Berufserfahrung, um zwischen der Moderatorenrolle und der Expertenrolle zu wechseln und den Rollenwechsel dem Publikum deutlich zu machen. Sie brauchen vor allem Argumente, um die Expertenrolle einzunehmen. Diese erhalten Sie nur über eine Faktenbasis. Wer die nicht hat, kommt zwangsläufig argumentativ ins Schwimmen und zu falschen Ergebnissen. Dann ist plötzlich der Handel die standortprägende Branche, obwohl dieser von Produktion und wissensintensiven Dienstleistungen geprägt ist, weil überwiegend Meinungsführer aus dem Handel anwesend sind. Ein:e Moderator:in kann hier nur mit klaren Fakten und Argumenten lenken. Zwangläufig werden dann auch falsche Schwerpunkte für die Wirtschaftsförderung abgeleitet, zum Beispiel wird der gesamte Fokus auf ein Citymanagement gelegt. Sehr oft habe ich erlebt, dass „Moderation“ sich darauf beschränkte, die Kärtchen zu sammeln und zu gruppieren. Das ist definitiv zu wenig. Zumindest muss in Richtung eines Zieles moderiert werden (z.B. „Wir benötigen sehr konkrete und messbare Ziele“). Einfach die Meinungen zu sammeln und sich mit Aussagen zufrieden zu geben wie „wir brauchen mehr Frequenz in der Innenstadt“ ist keinesfalls ein Ergebnis, das den Aufwand wert ist und weiterführt.



Also keine Meinungsworkshops?

Genau. Für mich entspricht der Aufwand keinesfalls dem Nutzen. Die Terminplanung ist zeitaufwändig, Räume, Catering, Moderation kosten viel. Und das Ergebnis ist meist sehr zweifelhaft bzw. oft in die falsche Richtung führend. Und die Lebenszeit Ihrer Stakeholder oder Bürger:innen wurde auch verschwendet für ein oberflächliches Ergebnis. Beim nächsten Workshop in drei Jahren werden noch weniger teilnehmen.



Welche Alternative gibt es?

Zunächst: Ein Beteiligungsprozess macht absolut Sinn. Zum einen um Wissen zu ergänzen und zum anderen dann, wenn es zu wenig Fakten gibt, zum Beispiel zu soft facts wie der Lebensqualität am Standort. Für einen breiten Beteiligungsprozess raten wir allerdings immer zu einer anonymisiert aufbereiteten Online-Befragung verschiedener Zielgruppen (Unternehmen, ev. auch branchenspezifisch, Bürger:innen, Gäste, Tagesgäste, Geschäftsreisende, Schüler:innen, Verwaltung usw., je nach Schwerpunkt der Analyse und Strategieerstellung). Hier können die Stakeholder mitmachen wann sie wollen und ihre Meinung ehrlich äußern. Und vor allem auch solche, die sich nicht zutrauen, öffentlich Meinungen und Beiträge abzugeben. Moderne Umfragetools bieten verschiedene Sprachen und Auswertungsmöglichkeiten nach allen Richtungen, zum Beispiel nach Altersgruppen, Bildungsabschluss usw. Unsere Erfahrung ist, dass etwa 1 bis 4 Prozent der Bevölkerung und 10 bis 20 Prozent der Unternehmen an Online-Befragungen teilnehmen. Das sind je nach Größe einer Stadt oder eines Kreises mehre hundert bis mehrere tausend Antwortende. Buchen Sie einmal einen Veranstaltungsraum, der diese Kapazität hat, geschweige denn, dass Sie eine Veranstaltung mit Hunderten Teilnehmer:innen schwer ergebnisorientiert moderieren können. Die Online-Befragung kostet die Beteiligten circa 20 Minuten und Sie weniger Geld als die Präsenzveranstaltungen. Viele befürchten, dass hier nur negative und destruktive Antworten gegeben werden. Das ist unsere Erfahrung überhaupt nicht. Die Antworten sind überwiegend ehrlich, aber das will man ja, auch wenn die Wahrheit oft weh tut. Sie sind meist sehr konstruktiv!

Eine weitere Möglichkeit sind vertrauliche Gespräche eines fachlich versierten Auftraggebers mit Standortakteuren, die in der Lage sind, zu den Standortthemen Auskunft zu geben. Zum Beispiel ein Unternehmerverband. Auch in dieser Atmosphäre werden Meinungen ehrlich geäußert. Befragungen die von Student:innen oder Praktikant:innen durchgeführt werden, orientieren sich in der Regel nur an einem Leitfaden. Auf spezifische Themen oder gar Rückfragen kann eine solche Person aufgrund des fehlenden fachlichen Hintergrundes nur wenig bis gar nicht eingehen. Achten Sie im Angebot also stets darauf, wer die Interviews durchführt.

LennardtundBirner kombiniert die verschiedenen Module der Online-Befragungen und die vertraulichen Stakeholdergespräche, die immer von Fachexperten bzw. den Projektleiter:innen und Geschäftsführern geführt werden, mit der faktenbasierten Analyse. Erst dadurch erhalten wir das bestmögliche neutrale Bild.


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